„Ohne die Sondereffekte der Mehrwertsteuererhöhung, der Energiepreise und des ungewöhnlichen Sommerwetters läge derzeit die Inflation bei rund 2 Prozent“, rechnete Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vor. „Hinzu kommen derzeit Lieferschwierigkeiten von Vorprodukten, die ebenfalls die Teuerung etwas nach oben treiben.“ Welche Auswirkungen Liefer-Engpässe auf die Teuerungsrate haben, erklärt dieser Top-Ökonom im Merkur.de Interview.
Volkswirte rechnen damit, dass die Verbraucherpreise in Deutschland in den nächsten Monaten weiter steigen werden. Vorübergehend gelten Teuerungsraten von an die fünf Prozent als möglich. „Der Inflationsdruck bleibt in Deutschland bis mindestens zum Jahresende sehr hoch. Erst im Januar 2022 wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Anfang des Vorjahres aus der Statistik herausfallen und für eine vorübergehende Beruhigung sorgen“, erklärte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. „Aber auch danach ist eine Rückkehr zu moderaten Inflationsraten unter zwei Prozent keineswegs sicher.“
Das sehen auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher so: In einer Umfrage im Auftrag des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) geht die Mehrheit der mehr als 2000 Befragten davon aus, dass die Inflation hierzulande in den kommenden Jahren so hoch bleiben wird wie derzeit (33 Prozent) oder sogar auf über fünf Prozent steigen wird (31 Prozent).
Die Europäische Zentralbank (EZB)*, für die stabile Preise im Euroraum der 19 Länder das zentrale Ziel sind, hat sich mit ihrer neuen Strategie bereits mehr Flexibilität beim Umgang mit vergleichsweise hohen Inflationsraten verschafft: Die Notenbank strebt nun für den Währungsraum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist dabei zumindest zeitweise bereit, eine moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.
Der harmonisierte Verbraucherpreisindex HVPI, den die EZB für ihre Geldpolitik heranzieht, lag in Deutschland im August nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 3,4 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats und um 0,1 Prozent über dem Stand von Juli 2021.
Für Sparer*, die Geld etwa auf mickrig verzinsten Tagesgeldkonten parken, sind steigende Inflationsraten bitter. Ihre Guthaben verlieren unter dem Strich an Wert. Lohnsteigerungen, die diesen Effekt abfedern könnten, sind angesichts der Zurückhaltung in vielen Branchen wegen der anhaltenden Corona-Pandemie nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im zweiten Quartal 2021 stiegen die Verdienste der Tarifbeschäftigten in Deutschland nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes inklusive Sonderzahlungen zum Vorjahreszeitraum um 1,9 Prozent. Die Verbraucherpreise legten im gleichen Zeitraum um 2,4 Prozent zu, so dass sich für die Beschäftigten Reallohnverluste ergaben. (dpa) Merkur.de ist ein Teil von IPPEN-MEDIA