Wahl in Großbritannien: Knappes Rennen zwischen Tories und Labour

Premierministerin Theresa May forderte Neuwahlen für das britische Parlament. Der Vorsprung ihrer konservativen Partei ist mittlerweile allerdings lange nicht mehr so groß, wie ursprünglich erwartet – Prognosen deuten auf ein enges Rennen hin.
London - Sitzungen im britischen Unterhaus sind geprägt von hitzigen Debatten, angriffslustigen Wortgefechten und einer politisch geladenen Atmosphäre, die dem Redeparlament alle Ehre macht. Fast ein wenig befremdlich kann es auf uns wirken, wenn britische Politiker in Parlamentssitzungen aufspringen und sich gegenseitig in voller Lautstärke anbrüllen. Das sogenannte House of Commons bildet mit seinen hitzigen Diskussionen dabei das Herz der britischen Demokratie: Hier werden über Gesetzesänderungen und politische Entscheidungen debattiert und abgestimmt.
Die amtierende Premierministerin Theresa May hatte im April über eine frühzeitige Auflösung des Parlaments abstimmen lassen, obwohl die nächsten Neuwahlen erst 2020 hätten stattfinden sollen. Dieser Vorschlag wurde im Parlament mit deutlicher Mehrheit angenommen.
Als Grund für die anstehenden Neuwahlen nannte May dabei den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. May, die das Amt erst nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von Premierminister David Cameron übernommen hatte, erhofft sich durch Neuwahlen mehr Rückhalt und Legitimation vonseiten der britischen Bevölkerung. Eine deutlichere Mehrheit im Parlament würde sie vor allem in den Brexit-Verhandlungen stärken. Zudem führte ihre Partei, die Conservative Party, die Umfragen mit hohem Vorsprung an – eine Wiederwahl schien damit im April sehr wahrscheinlich.
Mittlerweile hat sich dieser Vorsprung in den Prognosen zunehmend relativiert, die Labour Party konnte einige Stimmen hinzugewinnen. Ob Mays Plan für eine Wiederwahl aufgehen wird, entscheidet sich heutei, wenn die britischen Bürger zur Wahlurne gebeten werden.
Wir begleiten die Unterhauswahlen in Großbritannien im Live-Ticker und zwar hier.
Großbritannien: So funktioniert die heutige Wahl
Die Wahl des britischen Parlaments erfolgt nach der Methode des relativen Mehrheitswahlrechts. Hier wird die Zahl der vertretenen Abgeordneten einer Partei nicht proportional bestimmt, sondern es gewinnt pro Wahlkreis der Abgeordnete mit den meisten Stimmen. Das führt dazu, dass die beiden größten Parteien, im britischen Fall die Labour Party und die Conservative Party, meist den weitaus größten Anteil der Abgeordneten stellen. Nur in wenigen Wahlkreisen gewinnen im Regelfall Kandidaten der kleineren Parteien. Die Partei, die im Unterhaus eine Mehrheit erhält, stellt den Premierminister oder die Premierministerin.
Unterhauswahl in Großbritannien: Das sagen aktuelle Umfragen
Am Tag der Parlamentswahl in Großbritannien wird es eng zwischen den beiden großen Parteien. Zwar haben die Konservativen von Premierministerin Theresa May in den Umfragen noch immer die Nase vorn, aber die von Jeremy Corbyn geführte Labour-Partei verringerte den Abstand aber weiter.
Den Befragungen des Meinungsforschungsinstituts Survation zufolge beträgt der Abstand zwischen beiden Parteien gerade mal einen Prozentpunkt. Die Tories kommen demnach auf 41 Prozent der Stimmen, Labour auf 40 Prozent. Nach der letzten YouGov-Umfrage lagen die Tories mit 42 Prozent der Stimmen nur noch vier Punkte vor Labour mit 35 Prozent. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Opinium hat Mays Partei mit 43 Prozent immerhin sieben Prozentpunkte Vorsprung. Bei ICM betrug der Abstand zwischen den Parteien zuletzt ganze 12 Punkte mit 46 Prozent für die Konservativen und 34 Prozent für Labour. Corbyns Partei legte damit in den vergangenen Wochen deutlich zu. Labour hatte Anfang Mai zeitweise unter der 30-Prozent-Marke gelegen.
Eine Umfrage-Statistik des „Telegraph“ vom 1. Juni 2017 sah die Konservativen mit 43,2 Prozent an erster Stelle, die Labour Party folgt mit 36,9 Prozent. Die „Liberal Democrats“ kämen aktuell auf 8,1 Prozent und die rechtspopulistische UKIP auf 3,8 Prozent. Noch Anfang Mai lagen die konservativen Tories bei mehr als 46 Prozent, die Labour Party kam zu diesem Zeitpunkt auf 29,1 Prozent.
Laut der Plattform YouGov könnte es aufgrund der Entwicklungen in aktuellen Umfragen möglicherweise sogar zu einem „hung parliament“, also einem Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse kommen. Was in Deutschland durch das Verhältniswahlrecht keine Seltenheit darstellt, gilt in einem Land mit einem Mehrheitswahlsystem als schwieriger Fall, für den es bestimmte Vorschriften gibt. Hier müsste sich eventuell eine Koalitionsregierung bilden – was aufgrund der fast vollkommenen Zwei-Parteien-Verteilung im Parlament ein ungewöhnliches Regierungskonstrukt darstellen würde. Auch eine Minderheitenregierung wäre dann möglich.
Hier können Sie nachlesen, wie Sie die Wahl in Großbritannien live im TV und im Live-Stream verfolgen können.
Unterhauswahl in Großbritannien: Die Zustimmungswerte der Kandidaten
Der Wahlkampf ist in seiner heißen Phase und gerade jetzt sieht ganz Großbritannien den Spitzenkandidaten genau auf die Finger. So sorgte beispielsweise Mays Boykott einer TV-Debatte für große Aufruhr unter den Wählern. In der Debatte des BBC sollten die Kandidaten für das Amt des Premierministers über ihre politischen Themen diskutieren – May wollte an dieser Veranstaltung allerdings nicht teilnehmen und ließ sich von ihrer amtierenden Innenministerin vertreten. Ihr Gegner, Jeremy Corbyn, hatte in letzter Minute zugesagt und erschien in der Live-Sendung.

Der Anschlag von Manchester auf das Konzert der Sängerin Ariana Grande hatte nicht die Auswirkungen auf aktuelle Umfragen, wie zunächst von vielen Seiten vermutet wurde. Die konservative Kandidatin, die sich für starke Begrenzung der Zuwanderung einsetzt, konnte nicht an Stimmen zulegen. Ganz im Gegenteil: May befindet sich weiter im Sinkflug. Ihr politischer Gegner Corbyn kritisierte nach dem Anschlag die britische Außenpolitik, deren „Kampf gegen den Terror“ nicht funktionieren würde. Nur kurze Zeit später wurde der Wahlkampf erneut von einem Terroranschlag, dieses Mal in Großbritanniens Hauptstadt London, unterbrochen. Hier reagierte Mays Regierung mit der Ankündigung eines Anti-Terror-Plans, der sich vor allem verstärkt gegen religiösen Extremismus wenden soll.
Wer wählt wen? Es sind nicht soziale Unterschiede, die den britischen Wahlkampf bestimmen
Laut dem „Telegraph“ sind es keine sozialen Unterschiede mehr, die die Entscheidung der britischen Wähler für die Konservativen oder die Labour Party prägen. Vielmehr ist eine politische Spaltung zwischen den verschiedenen Altersgruppen erkennbar: Bei jungen Leuten zwischen 18 und 24 Jahren liegt die Labour Party deutlich vorne, während bei Wählern ab 50 die konservative Partei von Theresa May an der Spitze steht.
Überhaupt scheint Labour-Kandidat und aktueller Oppositionsführer Corbyn eine verhältnismäßig erfolgreiche Wahlkampagne zu bestreiten: Die Umfragewerte der Labour Party steigen kontinuierlich, während die der Konservativen weiter zurückfallen. Laut aktuellen Prognosen würden damit mehr Labour-Kandidaten in das Parlament einziehen, als es bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2015 der Fall war. Mays Partei liegt allerdings immer noch an erster Stelle und ihre Wiederwahl als Premierministerin scheint damit äußerst wahrscheinlich.

Trotzdem scheint der Druck gegen May zu wachsen: Ihr politischer Gegner Jeremy Corbyn plädierte nach dem Anschlag von London für einen Rücktritt Mays und Protestsongs gegen die amtierende Premierministerin werden von vielen unterstützt. Mehr dazu in diesem Artikel zum Terroranschlag in London.
Unterhauswahl 2017: Was bedeutet das Ergebnis für die Briten und die EU?
Die Parlamentswahl in Großbritannien ist erst einmal eine wichtige Wahl für die Briten, da von ihr abhängt, welche Partei die politische Debatte der nächsten fünf Jahre bestimmen und den britischen Premier stellen wird. Das Programm der Parteien ist in den Bereichen der Innen- und Außenpolitik so unterschiedlich wie selten zuvor. Während die Konservativen einen Wahlkampf gegen Einwanderung aus der EU und anderen Ländern sowie für eine national bezogene Politik fahren, setzt die Labour Party in ihren Kernthemen auf eine Sozialpolitik für die Mittel- und Unterschicht der Briten sowie auf den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens. Einig sind sich die Parteien allerdings darin, den Ausbau der Sicherheitskräfte zu verstärken.
Auch im Hinblick auf den britischen Austritt aus der EU könnte die Wahl des Unterhauses entscheidend sein. Die Wahl des Premiers kann durchaus ausschlaggebend für die Schwerpunkte der Verhandlungen werden. Falls May Premierministerin bleibt, wären die Mehrheitsverhältnisse für sie ein wichtiger Faktor in den Verhandlungen mit der Europäischen Union. Ein gutes Ergebnis in der Unterhauswahl würde ihre Verhandlungsposition besonders stärken – ein schwaches die von ihr repräsentierten Themen jedoch zunehmend in Frage stellen.