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Nato-Ärger und Rechtspopulisten im Höhenflug: Schweden vor heikler Wahl

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Von: Florian Naumann

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Schweden steht vor einer Wahl in turbulenten Zeiten. Eine stabile Parlamentsmehrheit ist nicht in Sicht. Wie geht es weiter? Eine Expertin erklärt die Lage.

Uppsala/München – Am Sonntag (11. September) wählt Schweden ein neues Parlament. Die Lage, so scheint es von außen, könnte kaum turbulenter sein. Außer- und innerhalb der schwedischen Grenzen: Einige hundert Kilometer östlich von Stockholm tobt der Ukraine-Krieg und die Türkei blockiert nach wie vor den Nato-Beitritt des Landes. Dafür setzt Ankara die schwedische Regierung auch mit innenpolitisch brisanten Forderungen unter Druck. Klare Parlamentsmehrheiten sind zugleich kaum in Sicht – und die scharf rechtspopulistischen Sverigedemokrater, die „Schwedendemokraten“, überflügelten in den Umfragen zuletzt gar die Moderater, das schwedische Äquivalent für die Union.

Mit dem roten Häuschen zum Wahlsieg? Ein Stand der Sozialdemokraten in Malmö.
Mit dem roten Häuschen zum Wahlsieg? Ein Stand der Sozialdemokraten in Malmö. © IMAGO/Francis Joseph Dean/Dean Picture

Und nun? Viele Fragen sind offen. Die Politikwissenschaftlerin Li Bennich-Björkman von der renommierten Universität in Uppsala erklärt im Interview mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA die wichtigsten Problemfelder. Mit aus deutscher Sicht teils überraschenden Einblicken: Den die Schwedinnen und Schweden nehmen die Lage offenbar recht locker – jedenfalls sind viele der Konflikte kaum Anlass für öffentlichen Streit. Ob das in jeder Hinsicht von Vorteil ist, bleibt abzuwarten. Dahinterstecken könnten jedenfalls historisch gewachsene Mechanismen.

Die Schweden-Wahl 2022 - vier wichtige Fragen:

Schweden-Wahl 2022: Wieder eine Minderheitsregierung? Für Stockholm nichts Besonderes

Ein Kanzler ohne eigene Parlamentsmehrheit – in Deutschland war das vor der Bundestagswahl für viele Beobachter ein Schreckensszenario. In Schweden könnte genau das passieren. Schon wieder. Denn bereits jetzt, vor dem Urnengang, führt Ministerpräsidentin Magdalena Andersson eine Minderheitsregierung. Sollten ihre Sozialdemokraten erneut stärkste Kraft werden, dürfte es eine Neuauflage dieser Konstellation geben, meint Bennich-Björkman.

Ein Grund: Die letzte Koalitionsregierung auf linker Seite, ein Bündnis aus Sozialdemokraten und Miljöpartiet - den schwedischen Grünen - unter Anderssons Vorgänger Stefan Löfvén war vorzeitig aufgelöst worden. Zuvor waren die Grünen in Umfragen teils unter die Vierprozenthürde gerutscht. „Sie haben ziemlich eindeutig darunter gelitten, mit den Sozialdemokraten in der Regierung zu sein“, erklärt die Politik-Professorin. Die Ökopartei konnte viele ihrer wichtigsten Anliegen nicht durchsetzen. Eine Mehrheit für die Sozialdemokraten steht also nicht in Aussicht.

Grund zur Panik sei das für die Menschen zwischen Trelleborg und Lappland aber nicht. „Schweden hat seit den 1930ern viele Minderheitsregierungen gehabt, die Sozialdemokraten haben meistens in solchen Konstellationen regiert“, sagt Bennich-Björkman; „in Schweden ist das eine ziemlich normale Art zu regieren“. Ein kleines Aber gibt es. „Das heißt natürlich nicht, dass es einfach wäre, mit einer sehr kleinen Partei eine Minderheitsregierung zu führen.“ Und die Sozialdemokraten rangieren mit 29 Prozent in dem Umfragen auf einem soliden, aber keinem besonders starken Niveau.

Die Regierungschef-Wahl in Schweden

Die Kanzler-Wahl in Deutschland ist in den ersten Wahlgängen an eine ziemlich hohe Hürde geknüpft: Eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten muss für den Kandidaten oder die Kandidatin stimmen. In Schweden ist die Sachlage anders. Gewählt ist ein Ministerpräsident, wenn nicht die Mehrheit der Abgeordneten gegen sie oder ihn stimmt. Es genügt also, andere Parteien zu einer Enthaltung zu bewegen, um eine Minderheitsregierung ins Amt zu bringen. Dennoch sind in Schweden zuletzt immer wieder Nominierte im Parlament, dem Riksdag, gescheitert.

Schweden: Scharf rechte Schwedendemokraten überflügeln die Konservativen – Wahl-Eklat möglich

Eine Minderheitsregierung ist laut Bennich-Björkman allerdings vor allem im Fall einer relativen Mehrheit für das linke parlamentarische Lager aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken wahrscheinlich. Anders die Sachlage, wenn das rechte Lager gewinnt: Dann ist der Expertin zufolge eine Koalitionsregierung zu erwarten. Allerdings wäre auch diese Konstellation alles andere als einfach. Ein Hauptgrund ist ein Umfragehöhenflug der rechtspopulistischen Schwedendemokraten: Sie rangieren mittlerweile in den Umfragen als zweitstärkste Kraft - noch vor den „Moderater“. Die Moderater sind das schwedische Pendant zur Union und zugleich die einzige Partei, die in den vergangenen 40 Jahren immer wieder den Reigen sozialdemokratischer Regierungschefs unterbrach.

„Wenn die Moderater als Kernpartei des rechten Blocks eine schwere Zeit haben, dann ist plötzlich nicht mehr gegeben, dass sie die Führungsrolle in einer liberal-konservativen Regierung inne hätten“, sagt Bennich-Björkman. „Die Sverigedemokrater würden natürlich – und das ist ja auch demokratisch korrekt – auf ihre Rolle als zweitstärkste Kraft pochen.“ Das würde, so die Expertin, die Lage nach der Wahl „spürbar verändern“. Könnte also sogar Rechtspopulisten-Anführer Jimmie Åkesson Regierungschef werden?

Die aktuellen Umfragen zur Schweden-Wahl:

Sozialdemokraten (S)Schwedendemokraten (SD)Moderater (M)Zentrum(C)Linke (V)Grüne (MP)Christdemokraten (KD)Liberale (L)
28,5%20,1%17,3%7,8%7,4%4,8%6,6%5,8%

Quelle: Instut Sifo/Svenska Dagbladet, 3.9.22

Ausgeschlossen ist das wohl nicht. Aber selbst im Falle einer Mehrheit für die konservative Seite des Parteienspektrums alles andere als gegeben. Einerseits ist es laut Bennich-Björkman zwar ein „offenes Geheimnis“, dass eine liberal-konservative Regierung auf Unterstützung der Sverigedemokrater angewiesen wäre. Das hätten alle Beteiligten zur Kenntnis genommen, bis hin zu den Liberalen. Noch 2018 hatten Liberale und Zentrum die Minderheitsregierung Löfvens gestützt, um nicht mit den Schwedendemokraten kooperieren zu müssen. Berührungsängste gibt es nun kaum noch: Im Sommer tourten die bürgerlichen Parteien der Liberalen, Moderaten und Christdemokraten gar mit den Sverigedemokrater gemeinsam durchs Land, um für eine Renaissance der Atomkraft zu werben.

Nichtsdestotrotz wäre auch ein kleiner Eklat denkbar: Denn während grundsätzlich „Praxis“ ist, dass die jeweils stärksten Parteien eines Lagers vom Parlamentssprecher mit Verhandlungen zur Regierungsbildung beauftragt werden, könnte es diesmal anders sein, spekuliert Bennich-Björkman: Womöglich gehe der Auftrag bei einem Scheitern der Sozialdemokraten doch wieder an die Moderater – ungeachtet der Kräfteverhältnisse. Denkbar ist aber offenbar ohnehin, dass die Rechtspopulisten eher in die Funktion eines einflussreichen Königsmachers kommen, denn selbst ins Ministerpräsidenten-Amt: Abzuwarten sei, ob es eine Rolle der Sverigedemokrater in, oder doch eher „eng bei der Regierung“ gebe, meint die Professorin im Gespräch mit Merkur.de. Tatsächlich spekulieren auch schwedische Medien, ob es für eine Koalition genug inhaltliche Überschneidungen mit den gemäßigteren Parteien gäbe.

Schweden-Wahl in der Zeitenwende: Würden die Schwedendemokraten die Außenpolitik auf den Kopf stellen?

Und dann ist da noch die brisante außenpolitische Lage. Im Falle einer erneut sozialdemokratisch geführten Regierung dürfte sich am Ukraine- und Nato-Kurs naturgemäß wenig ändern. Was aber, wenn die Sverigedemokrater das Zepter übernehmen würden? Vor einer „Sicherheits- und außenpolitischen Gefahr“ warnten zuletzt die Sozialdemokraten in einer eigens angesetzten Pressekonferenz.

Bennich-Björkman urteilt hingegen sehr zurückhaltend. Große Veränderungen in der Außenpolitik seien auch bei Regierungsbeteiligung der Populisten nicht zu erwarten. „Ich denke, es würde keinen großen Wandel bei den Prioritäten geben. In dieser Hinsicht sind die Sverigedemokrater nicht mehr so viel anders als die Sozialdemokraten.“ Ein Grund sei, dass es in Schweden einen breiten Konsens etwa über die Nato-Mitgliedschaft oder Unterstützung für die Ukraine gebe. Dagegen werde sich die Partei wohl nicht auflehnen.

Mögliche Koalitionspartner? Der Liberale Johan Pehrson, der Rechtspopulist Jimmie Åkesson, die Christdemokratin Ebba Busch und der Konservative Ulf Kristersson (v.l.) bei einem Talk des Radiosenders SR.
Mögliche Koalitionspartner? Der Liberale Johan Pehrson, der Rechtspopulist Jimmie Åkesson, die Christdemokratin Ebba Busch und der Konservative Ulf Kristersson (v.l.) bei einem Talk des Radiosenders SR. © IMAGO/Christine Olsson/TT

Die Expertin rechnet damit, dass die „Schwedendemokraten“ möglichen Einfluss eher nutzen würden, um ihre „Kernthemen“ zu bearbeiten: „Migration, Integration, kulturpolitische Fragen, wie die Ausrichtung der Hochschulbildung; ich denke an die Gender Studies, die die Sverigedemokrater sehr kritisch sehen“, erklärt Bennich-Björkman Merkur.de. Außenpolitik sei hingegen „nicht das Hauptbetätigungsfeld“ der Partei: „Ich denke also, sie würden nicht dort ansetzen.“

Schweden wählt mitten im Nato-Konflikt: Ein Thema für den Wahlkampf? „Eigentlich nicht“

Bleibt die Frage: Wie sehen die Schweden selbst die nahende Parlamentswahl – ist es ein besonderer Urnengang, angesichts der schwedischen Zeitenwende bei der Nato-Mitgliedschaft, dem Umfrage-Höhenflug der Rechtspopulisten oder dem Gezerre um die Auslieferung kurdischer Menschen an die Türkei. „Nein, eigentlich nicht“, urteilt die Politik-Professorin. Außenpolitik etwa spiele traditionell keine große Rolle im Wahlkampf. Dort gehe es eher um „Alltagsfragen“ wie Bildung, Gesundheitspolitik oder innere Sicherheit.

Dass es auch ein Thema wie der hochumstrittene Pakt mit der Türkei nicht in die Wahldebatten schaffe, sei hingegen durchaus „interessant“, räumt Bennich-Björkman ein. Womöglich reflektiere das eine Art schwedischer „Tradition“: „Während des Kalten Krieges war es in Schweden regelrecht tabuisiert, Neutralitätspolitik zu debattieren. Diese Geisteshaltung könnte immer
noch vorherrschen: Dass es nicht Aufgabe der breiten Bevölkerung ist, diese Fragen zu diskutieren. Oder wenn, dann nur hinter verschlossenen Türen.“

Florian Naumann

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