„Der Klimawandel wird so viel dahinraffen“ – Bayern braucht mehr Windkraft – und das schnell

Der Klimawandel schreitet voran. Das fossile Zeitalter nähert sich seinem Ende. Dennoch stockt der Ausbau von Windenergie in Bayern. Ein Experte klärt auf.
München – In Bayern geht die Angst um. Die Angst vor einem Blackout im Winter. Die Angst vor zu hohen Strom- und Energiepreisen. Derweil ist die vermeintliche Lösung der Probleme so nah. Sie weht täglich über unsere Flure und durch unsere Wälder. Windenergie gibt es bereits, aber ihr Ausbau ist in den vergangenen Jahren extrem ins Stocken geraten. Das liegt laut Energieexperte Stefan Holzheu von der Universität Bayreuth auch an Markus Söder und seiner CSU. Wo Bayern geschlafen hat und was man jetzt lieber früher als später machen sollte, verrät er im Interview mit Merkur.de.
Windkraftausbau in Bayern stockt – aber was sind die Gründe?
Windkraft ist in Bayern ein Politikum. Warum ist das so?
Holzheu: Gegen Windräder gab es häufig Widerstand aus der Bevölkerung. Und so dachte sich wohl die Bayerische Regierung, da laufen uns dann zu viele zur AfD über, also wollen wir keine Windräder. Wir waren in Bayern eigentlich ganz gut dabei mit dem Windkraftausbau. Wir haben auch genug Platz. Der Freistaat ist das größte Flächenland in Deutschland mit Abstand. Natürlich müssen wir Windenergie bauen.
Woher kommt die Abneigung der Menschen gegen Windräder?
Holzheu: Ein Thema, welches Windkraftgegner immer gerne vorbringen und von der Wissenschaft schon immer als Humbug-Thema widerlegt wurde, ist Infraschall. In der Nähe von Bayreuth wurde aus eben diesem Grund ein Windpark abgelehnt. Das spornte mich als Wissenschaftler an, hier Aufklärung zu betreiben.
Und da gibt es ja auch noch den Artenschutz, oder?
Holzheu: Es ist erstaunlich, wie extrem der Artenschutz bei Windkraftanlagen betont wird, aber bei anderen Projekten wie beispielsweise Braunkohle-Tagebau wird einfach alles abgebaggert. Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Artenschutz und Windkraft weisen alle darauf hin, dass der Artenschutz bei weitem nicht so relevant ist, wie er immer dargestellt wird. Bestes Beispiel ist der Rotmilan. Gegner behaupten, die Tiere würden die Anlagen nicht sehen und zu Tausenden sterben, aber wissenschaftliche Studien widersprechen.
Eine weitaus größere Bedrohung für den Rotmilan wird ohnehin der Klimawandel sein, oder?
Holzheu: Der Klimawandel wird so viel dahinraffen, das können wir jetzt noch gar nicht abschätzen. Da fällt ein toter Rotmilan, der in ein Rotorblatt fliegt, nicht ins Gewicht.

Bürger müssen beim Windkraftausbau auch finanziell beteiligt werden
Wie kann man also die Bürger davon überzeugen, dass Windkraft für sie das Richtige ist?
Holzheu: In dem man sie beteiligt. Es gibt Windräder, die sind zu 100 Prozent von Bürgern vor Ort finanziert worden. Die Gewinne verbleiben fast komplett im Ort. Das Problem ist nur, dass das in den 1990ern noch einfacher war. Da hat beispielsweise ein Artenschutzgutachten ein paar tausend Euro gekostet. Heute zahlt man dafür rund eine halbe Million Euro.
Warum ist das so?
Holzheu: Das liegt an der CSU. Die haben 2016 den Bayerischen Windenergieerlass erlassen und es wirkt für mich so, als hatte man damit die Windenergie ausbremsen wollen. In diesem Erlass gibt es einen großen Punkt: die artenschutzrechtlichen Vorgaben beim Bau eines Windrads. Davon gibt es sehr viele und die sind teilweise auch noch widersprüchlich formuliert. Folglich hat es dazu geführt, dass die Gutachten sehr langwierig und teuer geworden sind.
Aber wenn ein Projektleiter einen langen Atem hat und solch ein Gutachten erstellen lässt, dann kann doch wenigstens gleich gebaut werden, oder?
Holzheu: Nicht ganz, da gibt es noch den VLAB (Verein für Landschaftspflege, Artenschutz & Biodiversität). Weil eben der Windenergieerlass so zweideutig geschrieben ist, kann es ziemlich sicher sein, dass der größte Klageverein in Bayern die Windkraftanlage beklagt. Und weil die Formulierungen so sind wie sie sind, häufig auch noch recht bekommt. Ergebnis: Ich darf die Anlage nicht bauen und hab im schlimmsten Fall eine halbe Million Euro versenkt.
Nun hat aber auch Markus Söder und die CSU eingesehen, dass es mehr erneuerbare Energien braucht und die 10H-Regel entschärft. Hilft das?
Holzheu: Die leichte Aufweichung von 10H reicht nicht aus. Man sieht nicht, dass jetzt Anträge stark nach oben gehen. Aber es liegt jetzt an Söder, etwas zu machen. Er könnte auch die Antragsbearbeitung vereinfachen und dadurch beschleunigen. Es fällt in seinen Kompetenzbereich und da hat er als Landespolitiker die Möglichkeiten. Aber ich sehe überhaupt keine Ambitionen, irgendetwas zu verändern.
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Ist Windkraft in Bayern überhaupt eine zuverlässige Stromquelle?
Wenn kein Wind weht, gibt’s auch keinen Strom. Das ist ein gängiges Argument von Windkraftgegnern. Was halten sie davon?
Holzheu: Natürlich hilft uns ein Windkraftwerk, das nicht läuft, nichts. Aber wenn es läuft, dann verdrängt es Gas- und Kohlekraftwerke. Und die so gesparten Rohstoffe kann ich dann einsetzen, wenn das Windrad nicht läuft. So senke ich auf jeden Fall den Verbrauch von fossilen Brennstoffen.
Manchmal wird in Bezug auf Windkraft auch von Flatterstrom gesprochen. Also Strom, der nur unregelmäßig verfügbar ist.
Holzheu: Ich sträube mich ja ein wenig gegen den Begriff. Windkraft wird nicht innerhalb von einer Stunde von 100 auf null gehen. Die Erzeugung verändert sich extrem stetig und gut vorhersehbar. Man weiß schon einen Tag zuvor, welche Leistung wir durch Photovoltaik und Windkraft zu erwarten haben. Dabei geht es auch nicht um die einzelne Anlage, die kann schon relativ stark variieren. Aber betrachtet man die Summe aller Anlagen, ist das eine sehr stetige Kurve.
Eine weitere Stromquelle, über die in den letzten Monaten heiß diskutiert wurde, ist Atomkraft. Wie sieht es hier im Vergleich zur Windkraft aus?
Holzheu: Der Bau eines neuen Atomkraftwerks ist sehr kostenintensiv. Da ist Wind- und Solarenergie deutlich billiger, selbst wenn man zukünftig den Bau von Speicheranlagen dazu rechnen muss. Bei bereits bestehenden Kraftwerken sieht es ein wenig anders aus. Brennstäbe sind im Vergleich zu ihrer potenziell erbrachten Leistung relativ günstig. Die große Unbekannte ist halt Rückbau und Endlagerung des Mülls. Das kann noch sehr teuer werden.
Video: Wie ist Bayern in Sachen Windkraft aufgestellt?
„Stromtrassen aus dem Norden hätte es eigentlich jetzt gebraucht“
Nun heißt es immer wieder, das Gros der Windkraft wird ohnehin im Norden Deutschlands erzeugt, da bringen die Windkraftwerke im Süden gar nicht so viel. Stimmt das?
Holzheu: In der Tat gibt es in Deutschland eine Stromzone. Daher auch der Irrglauben, wenn wir im Norden viel Strom erzeugen, kommt das auch dem Süden zugute. Aber dafür fehlen die Stromtrassen. Es geht allein schon physikalisch nicht. Und so kommt es immer wieder dazu, dass Windkraftbetreiber im Norden ihre Anlagen drosseln, während wir im Süden unsere Gaskraftwerke anschmeißen müssen.
Stromtrassen aus dem Norden in den Süden sind ein altbekanntes Streitthema und Politikum.
Holzheu: Leider wieder etwas, was die CSU verbockt hat. Bürger haben Stimmung gegen Monstertrassen gemacht und die Politik ist eingestiegen und hat die Pläne abgewürgt. Es ist gefährlich, wenn man kurzsichtig denkt und hofft, dass man die Probleme irgendwann gelöst kriegt. Irgendwann schlagen sie auf und das ist jetzt der Fall. Die Stromtrassen hätten wir eigentlich jetzt gebraucht. Die waren eigentlich auch so geplant, dass sie jetzt fertig wären.
Warum tut sich die CSU so schwer mit Windkraft?
Holzheu: Da gibt es viele alte Parteimitglieder, die der alten Meinung angehören ‚Windkraft ist Mist‘. Ihnen fehlt einfach die Vorstellung, wie ein modernes Stromsystem funktionieren kann. Wir brauchen ständig Strom und Windkraft liefert nicht ständig Strom, ist häufig ihre Argumentation. Sie durchdringen das Thema fachlich nicht und sie erkennen nicht, was das Problem mit der fossilen Verstromung ist. Die erkennen nicht, wie dramatisch der Klimawandel ist. Und die erkennen nicht, dass wir heutzutage Batteriespeicher, Netze und andere Möglichkeiten haben. Natürlich ist es eine Herausforderung, ein System mit 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien aufzubauen, aber die Technik dafür gibt es bereits, jetzt muss sie nur noch angewandt werden.
Das Interview führte Tom Eldersch.