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„Organisierte Wahlfälschung“: Ampel will den Bundestag schrumpfen – Union droht schon mit Klage

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Von: Florian Naumann

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Die Ampel will den Bundestag eindampfen. Doch der Plan birgt seine Tücken – nicht zuletzt für die Union. Die CSU wähnt sich bereits im „Schurkenstaat“.

Berlin/München – 736 statt der eigentlich vorgesehenen 598 Abgeordneten: Der Bundestag ist zu groß und teuer. Da sind sich die Fraktionen im Reichstagsgebäude völlig einig. Doch um eine Lösung ringen sie seit Jahren erfolglos. Es geht immerhin um das Wahlrecht – und auch um Mehrheiten und Mandate. Mit einem neuen Vorstoß scheint die Ampel-Koalition auch jetzt wieder auf Granit zu beißen.

Ampel will den Bundestag schrumpfen – CSU wittert Zustände wie im „Schurkenstaat“

SPD, Grüne und FDP wollen das Parlament wieder auf sein Normalmaß bringen. Auf einen Plan dazu haben sie sich am Wochenende geeinigt: Die Überhang- und Ausgleichsmandate sollen wegfallen. Eine mögliche Folge: Nicht mehr jeder per Erststimme direkt gewählte Wahlkreiskandidat könnte in den Bundestag einziehen. In einem Schreiben an CDU-Chef Friedrich Merz boten die drei Koalitionäre nach eigenen Angaben Gespräche an.

Doch das können sie sich womöglich sparen. CDU und CSU übten am Montag (16. Januar) massivste Kritik an dem Vorhaben. CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach von „organisierter Wahlfälschung“ und Praktiken wie im „Schurkenstaat“: Direkt gewählten Abgeordneten dürfe der Einzug nicht verweigert werden.

Was würde sich bei der Bundestagswahl ändern? Die neuen Wahlrechts-Pläne der Ampel

Keine Überhangmandate mehr: Die 598 Bundestagssitze sollen komplett anhand der Mehrheitsverhältnisse bei den Stimmen für die Parteien vergeben werden. Wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen, fallen diese weg.

Die Folge für die Wahlkreiskandidaten: Laut dem Entwurf werden die den Parteien zustehenden Sitze (wie bisher) auf die Bundesländer umgerechnet. Dort kommen dann zunächst die erfolgreichen Wahlkreiskandidaten der Partei zum Zuge. Sind danach noch Mandate zu vergeben, kommen die Kandidierenden auf der Landesliste an die Reihe.

Anders die Lage, wenn es mehr Direkt-Gewählte einer Partei als ihr zustehende Sitze in einem Land gibt. Für die Wahlkreisgewinnerinnen und -gewinner jeder Partei soll ein Ranking erstellt werden – wer die meisten Stimmen bekommt, steht ganz oben. Die Wahlkreissieger mit den wenigsten Stimmen können in die Röhre schauen.

Neu auf dem Wahlzettel: Die bisherige „Zweitstimme“ soll künftig an erster Stelle auf dem Wahlzettel stehen und Hauptstimme heißen. Die bisherige Erststimme soll Wahlkreisstimme genannt werden. Verabschiedet hat sich die Ampel von einem älteren Plan: Ein früherer Entwurf sah eine „Ersatzstimme“ vor, über die Wähler eine zweite Präferenz für ihren Wahlkreis-Kandidaten angeben können.

Huber erklärte, man werde die Pläne in der vorliegenden Form nicht akzeptieren. „Die links-gelbe Ampel legt damit die Axt an unser demokratisches Fundament“, sagte der CSU-Politiker. „Die Ampel stellt sich über den Wählerwillen der Bürgerinnen und Bürger. Das ist verfassungswidrig und das werden wir nicht akzeptieren.“ Die Abschaffung der Überhangmandate könnte insbesondere die CSU treffen. Sie gewinnt in Bayern in der Regel viele Wahlkreise direkt, erzielt aber bei der Zweitstimme anders als früher nicht mehr so gute Ergebnisse.

Bundestagswahl: CDU droht Ampel mit Klage – auch Linke ist skeptisch

CDU-Kollege Ansgar Heveling drohte sogar ganz konkret mit einer Klage. „Wer auf verfassungsrechtlichem Sand baut, muss damit rechnen, dass das Verfassungsgericht angerufen wird“, sagte der Justiziar der Unionsfraktion und CDU-Obmann in der Wahlrechtskommission. Wenn Erststimmen-Sieger außen vor blieben, könnten aus Gewinnern plötzlich Verlierer werden, „weil jemand, der eigentlich einen Wahlkreis gewonnen hat, dann nicht in den Bundestag einzieht“, sagte Heveling.

Auch die Linke-Vorsitzende Janine Wissler äußerte sich skeptisch zum Entwurf der Koalition. Das Konzept berge die Gefahr, dass ganze Wahlkreise keine Vertretung im Bundestag mehr hätten, warnte sie. Die Ampel-Fraktionen halten das für unwahrscheinlich: In der Regel kämen mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis. Möglich ist allerdings, dass ein Wahlkreissieger nicht in den Bundestag kommt und dann dieser Wahlkreis ausschließlich von Abgeordneten anderer Parteien repräsentiert wird.

Überhang- und Ausgleichsmandate in Deutschlands „personalisiertem Verhältniswahlrecht“

Nach dem geltenden deutschen Wahlrecht kann eine Partei über die Erststimmen mehr Mandate erringen, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen.

Diese zusätzlichen Mandate darf die Partei behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. So ist im „personalisierten Verhältniswahlrecht“ sowohl die „personalisierte Wahl“ - per Erststimme für den Wahlkreiskandidaten - als auch die Abbildung des prozentualen Anteils an den Zweistimmen gewährleistet.

Allerdings kann dadurch – je nach Wahlergebnis – die Zahl der Bundestagsabgeordneten massiv anwachsen. Vor der Bundestagswahl 2021 kursierten Modellrechnungen, nach denen 1.000 oder mehr Mandatsträger nötig geworden wären. Denkbar ist das etwa, wenn Wähler ihre Zweitstimme anders vergeben als ihre Erststimme. Zum Beispiel weil sie Union oder SPD größere Chancen auf das Direktmandat zusprechen.

Bundestags-Wahlrecht: Ringen um die Mandat-Chancen – Union will den „Graben“

Eigentlich soll es zur Bundestagswahl 2025 nur noch 280 statt 299 Wahlkreise geben – das sieht ein noch von der GroKo verabschiedetes Gesetz vor. Auch damals ging es darum, den Bundestag wieder mehr in Richtung Regelgröße zu bringen. Und auch damals gab es Unmut bei den anderen Fraktionen. Überhang- und Ausgleichsmandate hätte es aber weiterhin gegeben. Die Ampel-Koalition will nun die Wahlkreisreduzierung wieder zurücknehmen.

Die Union liebäugelt derweil mit dem sogenannten Grabenwahlrecht. Damit würde die Hälfte der Bundestagssitze über die Zweitstimme und die andere Hälfte über die Stimme für die Direktkandidaten vergeben. Ein solches Modell dürfte allerdings dafür sorgen, dass die Sitzverteilung im Parlament sehr stark vom Zweitstimmenergebnis abweicht – nicht unwahrscheinlich scheint, dass CDU und CSU profitieren würden. Unions-Parlamentsgeschäftsführer Stefan Müller (CSU) betonte am Montag, man wolle mit der Ampel gerne „über rechtlich zulässige Lösungen“ sprechen. Die Vorschläge dazu lägen auf dem Tisch.

Wie es weitergeht ist offen. Der Bundestag kann das Wahlrecht mit einfacher Mehrheit verändern. Die Stimmen der Ampel würden dazu also reichen. Für gewöhnlich wird aber bei solchen Themen immer ein möglichst breiter Konsens angestrebt – eine erfolgreiche Verfassungsklage wäre eine unangenehme politische Schmach. Allerdings war in den vergangenen Jahren keine Einigung über einen größeren Reform-Wurf zu Stande gekommen. (fn mit Material von dpa und AFP)

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